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Nähe und Distanz

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Viele Lebensbereiche werden in diesen Zeiten
aus einer veränderten Perspektive beleuchtet.
Wir sind aufgefordert, ja gezwungen, vertraute Einstellungen
und Haltungen aufzugeben und neue zu entwickeln.

Zu diesen Lebensbereichen, die noch einmal ganz neu in den Blick geraten sind, gehört auch das Thema Nähe und Distanz.

Spontan denken wir dabei wahrscheinlich, an die Distanz,
die wir seit Monaten einhalten sollen und die Nähe,
die uns deshalb so fehlt.

Die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander entfalten sich
in allen Lebensphasen im Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz.
Aber darüber hinaus sind auch Natur und Umwelt, Tiere und Pflanzen von diesem Phänomen geprägt, ebenso wie das kosmische Geschehen zwischen Planeten und Sternen.

Selbst historische Entwicklungen und Geschehnisse bekommen
ihre bestimmte Färbung, je nachdem wir sie aus der Nähe
und mit Distanz betrachten.
Schließlich empfinden Menschen, die nach dem Ursprung,
nach dem Sinn und Ziel ihres Lebens suchen,
Nähe und Distanz auch im Hinblick auf das menschliche
und auf das göttliche Lebensfeld.

„Wir sind mit dem Unsichtbaren näher als mit dem Sichtbaren verbunden“, heißt es bei Novalis.

Das Begriffspaar Nähe und Distanz ist längst nicht so eindeutig,
wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint.
Die Mehrdeutigkeit erkennen wir, wenn wir uns vor Augen führen,
dass wir Menschen, ja die meisten Lebewesen einerseits
Nähe dringend brauchen, um Wärme, Sicherheit
und Geborgenheit zu erfahren.
Andererseits kann zu viel Nähe auch einengend, beschränkend,
ja mitunter sogar gefährlich sein.

Ähnlich verhält es sich mit der Distanz, die sowohl Kälte, Zurückweisung und Abgrenzung zum Ausdruck bringen kann, die aber auch Schutz und Sicherheit bedeuten kann.

Für viele wird es zu einem Dilemma, und es war und ist
nicht immer leicht, hier das richtige Maß zu finden,
ein Maß, das weder die eigene Entwicklung
noch die eines anderen stört und behindert.
Jedes Lebewesen braucht Platz, Raum zur Entfaltung.
Nähe fördert die Begegnung, den Austausch und gibt damit Entwicklungsanstöße.

Auf subtile Weise sind Nähe und Distanz miteinander verwoben
bei Menschen, die uns nahe stehen.
Auch wenn wir mit einem Menschen über viele Jahre wirklich vertraut und verbunden sind – es bleibt ein Rest an Distanz, an Fremdheit.

Vielleicht ist ja auch gerade dieses sensible Spannungsfeld,
das eine Beziehung trägt und lebendig hält.

In einem größeren Zusammenhang speist sich unsere
geistig-seelische Entwicklung als Mensch aus dem Spannungsverhältnis zwischen menschlich und göttlich, zwischen irdisch und himmlisch.
Diese Diskrepanz, diese Kluft zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren ist notwendig für die bewusstseinsmäßige Verwandlung der Menschheit.

Erst beim Aufgehen im Tao, im All-Einen gibt es
kein Spannungsverhältnis, keinen Konflikt mehr
zwischen Nähe und Distanz.

Im 23. Vers des TAO TE KING
( in der Übersetzung von Rudolf Backofen)
heißt es:
„Wer sich in das Unergründliche einfügt,
dem wird in dieser Einfügung
der Segen des Unergründlichen.
Wer sich seinem innersten Wesen einfügt,
dem wird in dieser Einfügung
der Segen des Innersten.“

Foto: Nguyen Minh Dai auf Pixabay

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