Ibn’Arabi (1165-1241) ist der wohl bedeutendste Theosoph im islamischen Raum, kaum ein Denker hat die islamische Mystik und Philosophie über Jahrhunderte so stark beeinflusst.
Er beschrieb den Menschen als „Spiegelbild Gottes“ und „Träger des ihm eingehauchten Geistes Gottes“ - und er hat den inneren Gott auch in sich gefunden.
Davon zeugt er in einem Gesang, der sich am Ende seines Werkes "Kitab al-Tajalliyat" befindet:
Höre, o Geliebter!
Ich bin die Wirklichkeit der Welt, ihr Mittelpunkt und ihr Umkreis,
ich bin alle ihre Teile und das Ganze.
Ich bin der Wille, der zwischen Himmel und Erde wohnt,
ich habe in dir die Wahrnehmung geschaffen, damit ich dich darin wahrnehme.
Wenn du mich siehst, siehst du dich selbst.
Aber du könntest mich nicht wahrnehmen allein aus dir heraus.
Denn es ist mein Blick, durch den du mich siehst und dich selbst wahrnimmst,
es ist nicht durch deinen eigenen Blick, dass du mich erkennen kannst.
Geliebter!
Oft schon habe ich dich gerufen, und du hast mich nicht gehört.
Oft schon habe ich mich dir gezeigt, und du hast mich nicht gesehen.
Oft schon habe ich mich zu einem betörenden Duft gemacht und du hast mich nicht gespürt,
zu einer köstlichen Speise, und du hast mich nicht gekostet.
Warum kannst du nicht zu mir kommen durch all das hindurch, mit dem du jetzt umgehst,
oder mich einatmen durch alle anderen Düfte hindurch?
Warum siehst du mich nicht?
Warum hörst du mich nicht?
Warum? Warum? Warum?
Deinetwegen übertreffen die Genüsse, die ich hervorbringe, alle anderen Genüsse,
und die Freude, die ich für dich erzeuge, ist größer als alle anderen Freuden.
Für dich mache ich mich begehrenswerter als alles andere,
ich bin die Schönheit selbst, die Anmut.
Liebe mich, liebe mich allein.
Verlier dich in mir, in mir allein.
Binde dich an mich,
nichts ist intimer als ich.
Die anderen lieben dich ihrer selbst willen,
ich liebe dich um deinetwillen.
Und du, du fliehst weit hinweg von mir.
Geliebter!
Du kannst mich nicht behandeln,
wie es mir gebührt,
denn wenn du dich mir näherst,
ist es deshalb, weil ich mich dir genähert habe.
Ich bin dir näher als du selbst,
näher als deine Seele, näher als dein Atem.
Wer von allen Wesen
könnte auf die gleiche Weise mit dir umgehen?
Ich bin deinetwegen eifersüchtig, dir gegenüber,
ich möchte nicht, dass du irgendeinem anderen gehörst,
nicht einmal dir selbst.
Sei mein eigen, mir zuliebe, so wie du ja in mir bist,
auch wenn du es nicht merkst.
Geliebter!
Vereinen wir uns.
Und wenn wir auf den Weg stoßen sollten,
der zur Trennung führt,
lass uns die Trennung auflösen.
Lass uns Hand in Hand
in die Wahrheit eintreten, die gegenwärtig ist.
Sie möge unser Richtmaß sein
und unseren Bund auf ewig besiegeln.
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