Das I Ging der Chinesen ist die älteste philosophische Schrift der Menschheit und wird zeitlich auf das Jahr 1200 vor Chr. angesiedelt, eine Zeit in der es schriftlich fixiert wurde.
Vereinzelt hatte ich den Begriff schon gehört, ohne mir eine konkretere Vorstellung davon machen zu können. Unbeabsichtigt wurde ich jetzt mit diesem Phänomen konfrontiert, und so will ihm, soweit ich es vermag, nachgehen.
Das I Ging wird als das Buch der Wandlungen übersetzt, denn I bedeutet soviel wie Wandel oder Tausch und weist auf den nicht statischen Charakter aller Lebenserscheinungen in dieser Welt hin.
Mit dem I Ging wurde versucht, alle Aspekte des Lebens zu beschreiben und es ist in diesem Sinne ein Weisheitsbuch.
Es beginnt mit den zwei Grundzeichen, dem geschlossenen Strich — und dem unterbrochenen Strich - - , die die Grundpolarität darstellen: Yin Yang, männlich/weiblich, ja/nein, positiv/negativ, Tag/Nacht, schwarz/weiß.
Der nächste Schritt ist die Verbindung zweier Striche übereinander:
Positiv/positiv, negativ/negativ, positiv/negativ, negativ/positiv.
So erhält man vier Zeichen, die vier Elemente, die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten.
Es folgt die Kombination von drei Strichen übereinander, woraus sich acht Zeichen ergeben, und schliesslich sechs Stiche übereinander, die die 64 Hexagramme bilden, die vierundsechzig Hauptideen, die in ihren Aussagen bildhaft Naturerscheinungen aber auch menschliche Lebenssituatioen und seelische und charakterliche Eigenschaften und Zustände beschreiben.
Das I Ging wurde und wird auch sowohl als Weisheitsbuch, Ratgeber und Orakelbuch benutzt.
Die 64 Hauptaussagen werden in ihrer Sinnhaftigkeit erklärt, indem menschliche Eigenschaften und Umweltbedingungen wie die Beziehung zur Familie, zum Beruf und zum öffentlichen Leben beschrieben werden. Ergänzend wird auf mögliche Veränderungen oder Beeinflussungen von Lebenssituationen aufmerksam gemacht, auf die sogenannten Wandlungen.
Alles aber steht letztlich im Dienst einer harmonischen Lebensführung im Einklang mit den Gesetzen des Kosmos. Aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Individualität und den universellen Gesetzen will das I Ging auch das Unterbewusste dem Menschen bewusst machen.
Die kosmische Ordnung, auf die im I Ging so oft hingewiesen wird, ist mit göttlichen Gesetzen identisch und zwar als geistiges Prinzip, das unvergänglich ist. Wie diese Perspektive von dem Menschen vor ca. 3200 Jahren empfunden wurde, kann vom heutigen Menschen kaum nachvollzogen werden. Möglicherweise war diese Beziehung noch ursprünglicher, da sich der Mensch mit der Natur und dem Kosmischen intuitiv verband.
Wenden wir uns nun der 48. Aussage des I Ging über den Quell zu.
Sie lautet:
Der Quell. Der Ort mag sich ändern, doch der Quell bleibt und erschöpft sich nie. Immer wieder kann man sich an dem Quell laben. Aber wenn die Verbindung nicht richtig hergestellt ist, droht Unheil.
Tiefes Durchdringen bildet die Bedingung für den Quell. Deshalb ermutigt der Edle die Menschen mit Rat und Tat.
Welcher Quell ist hier gemeint?
Wo ist er zu finden, der Quell, der sich nie erschöpft, obwohl sich der Ort ändern mag?
Äußerlich betrachtet steigt ein Quell mit seinen Wassern aus der Tiefe der Erde auf, und die Wasser suchen sich ihren Weg. Ein Quell kann kräftig oder schwach sprudeln. Aber er erfrischt und nährt mit seinen Wassern das Land, die Tierwelt und dient dem Menschen als wichtige Lebensgrundlage..
Der Quell steht für die tiefe, nie versiegende göttliche Quelle von Energie und Sinn, die jeder Mensch besitzt. Wenn der Mensch diesen inneren Quell durch tiefes Durchdringen der ewigen Wahrheiten in sich erschließen kann, hat er den Quell gefunden, der im Herzen ruht. Dieser Quell erschließt uns dann auch ein neues Denken und Verstehen.
Doch oft ist dieser, unser innerer Quell, von Angst, Furcht und Sorge wie verschüttet und wir fühlen uns darum innerlich wie taub, leer, orientierungs- und mutlos.
Diesen inneren Quell immer wieder zu erschließen war und ist die Aufgabe des Menschen, der sich als kosmisches Wesen empfindet und in der Aura der göttlicher Vibration atmen will.
Die Tradition des Wissen um den Wandel und die Veränderung der Dinge, die sich in der chinesischen Philosophie vor allem durch Gegensätze manifestiert wie Tag und Nacht, Kälte und Wärme, Leben und Tod, Yin und Yang, wird später durch Laotse, Konfuzius fortgesetzt. Es ist der Gedanke der stetigen Veränderung aller Erscheinungen in dieser Welt.
So war das dialektische, materialistische Denken oft auch die Grundlage für die Forderung, Gedanken in die Tat umzusetzen. Wenn jedoch ihre Ausformung ausschließlich auf der materialistischen Basis geschieht, wie es in der extremsten Form zur Zeit Mao Tse-tungs stattfand, kann es mit Unheil beladen sein. Denn allein das Wissen um die irdische Welt und das damit verbundene auf den Stoff gerichtete Denken, schenkt dem Menschen keine innerliche Befreiung, sondern fesselt ihn an diese Welt und ihren Mechanismus. Ohne den Ausblick zum Kosmischen, zu einer Übernatur, die in der göttlichen Anschauung ruht, ist der Mensch der Schwerkraft der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeit unterworfen.
Dem Gesetz der Übernatur aber folgt das I Ging in ureigenster Weise
und folgert, dass ein Mensch, der den inneren Bezug zum Kosmischen, zur Übernatur herstellt und danach zu leben beginnt, auch anderen beim Aufbau des Zugangs zur innereigenen Quelle behilflich sein kann. Ein besonderes Kennzeichen solchen Handelns ist die Ermutigung, die zu Inspiration führt.
So gesehen, kann das I Ging dem heutigen Menschen viele Aufschlüsse über sich und die Welt geben.
Foto: Frank Saß